Sonntag, 23. September 2007

Das Media Markt Massaker

Die kleine Marie wußte gar nicht, wie ihr geschah. Mitten in der Nacht hatte ihr Vater sie aus dem Schlaf gerissen und dazu gedrängt, sich schnell etwas Hübsches anzuziehen. Genau verstand sie nicht, was er von ihr wollte, doch sie tat ihm den Gefallen und holte, ohne zu murren, ihr bestes Sonntagskleid aus dem Schrank.
Auf der Fahrt mit der S-Bahn erzählte ihr Vater irgendetwas von einer Mitternachtseröffnung. Seine Augen funkelten dabei wild. Marie bekam ein bißchen Angst, doch gleichzeitig war sie auch neugierig. Das mußte ein besonderes Ereignis sein, denn so hatte sie ihren Papa, den sonst nichts aus der Ruhe bringen konnte, noch nie erlebt.
Als sie am Alexanderplatz ankamen, hatten bereits über fünftausend wütende Menschen eine Traube vor dem noch versperrten Eingang gebildet. Lange würden sie sich die Aussperrung nicht mehr bieten lassen. Sie waren schließlich nicht zu ihrem Vergnügen hier.
Die Luft brannte. Haß, Geiz, Gier und Neid waren mit Händen greifbar. Die Masse drängelte sich vor den Rolltoren, hämmerte gegen die Lamellen und brüllte immer wieder: Aufmachen! Aufmachen! Ein gellendes Pfeifkonzert zerriß die Luft. Die Mitarbeiter im Inneren wurden nervös.
Ich bin doch nicht blöd und warte hier die ganze Nacht, grölte einer aus der Menge. Er stürmte los und gab somit für die anderen das Zeichen zum Angriff. Da war es halb zwölf.
Das Grauen begann. Niemand war vorbereitet auf das, was sich nun in den folgenden Stunden hier abspielen sollte.
Im Durcheinander vor dem Geschäft fielen die ersten Opfer dieser Nacht. Die Schwachen und Alten fielen zuerst in Ohnmacht, weil sie im Gedränge einfach keine Luft mehr bekamen. Wer zu Boden ging, wurde von den Nachrückenden einfach zertreten und zu Tode getrampelt. Viele wurden auch wehrlos an die Außenwand des Einkaufszentrums gedrückt und dort wie lästige Fliegen zwischen den Fingern zerquetscht.
Die Rolltore gaben dem gewaltigen Druck von außen nach. Die Glastür am Haupteingang zersplitterte. Der Druck der Menschenmasse traf diejenigen, die das Pech hatten, vorn in der ersten Reihe zu stehen, wie ein Hammer. Eine Flut von Menschen ergoß sich in das Erdgeschoß und schwappte über die Rolltreppen hinauf in die anderen Stockwerke.
Kameras und Handys flogen umher. Von überall Schreie. Es wurde geschubst, getreten, geschlagen. Die Situation geriet außer Kontrolle. Das erste Blut floß. Es gab kein Halten mehr. Die Hölle war losgebrochen, und niemand konnte dieses Chaos jetzt noch stoppen.
Schnäppchenjäger verwandelten sich plötzlich in grausame Bestien. Ein Zucken, ein Kreischen, ein Brüllen ging durch die rasende Menge. Das waren keine Menschen mehr, sondern Tiere.
Warenbehälter wurden niedergetrampelt. Ein Mann im Anzug erschlug einen anderen mit einem Telefonhörer. Eine Frau Mitte vierzig stand auf dem Verkaufstresen der Fernsehabteilung und schwang den Flachbildschirm, an dem sie sich festkrallte, wie eine Keule, die sie bedrängende Meute damit abwehrend. Die Infokasse 2 ging in Flammen auf.
Jetzt verschwand auch Maries Vater in der Menschenmenge. Wie von einem Sog wurde er weggerissen. Er ging unter und tauchte nicht wieder auf.
Die Männer vom Sicherheitsdienst wurden von den Kunden mit Elektrogeräten verprügelt. Knochen barsten, Rippen brachen. Den über hundert Polizisten, die vor Ort im Einsatz waren, erging es nicht besser. Sie konnten gegen die Überzahl an Gegnern einfach nichts ausrichten und wurden mit bloßen Händen zerfetzt. Mancher klammerte sich anschließend an den ergatterten blutverschmierten Polizeihelm, als handle es sich dabei um eine wertvolle Trophäe.
Der panische Marktleiter schrie seine im Sterben liegenden Mitarbeiter an, sie sollten doch irgendetwas unternehmen. Doch es war bereits zu spät. Überall um ihn herum sanken deformierte leblose Körper zu Boden.
Erst nach Stunden fand die Raserei allmählich ein Ende. Eine bleierne Todesstille senkte sich im Morgengrauen über das Einkaufszentrum. Tote Menschen lagen überall zu grotesken Haufen aufgetürmt übereinander. Nichts als Blut, Knochen, rohes Fleisch.
Niemand war in diesem Wahnsinn davongekommen. Fast niemand.
Die kleine Marie hatte als Einzige überlebt und stand in ihrem vom Blut fremder Menschen verklebten Sonntagskleid an der zerborstenen Glasfront. Sie sah apathisch hinaus in den Sonnenaufgang des neuen Morgens.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Ich schmeiß mich weg *LOL*
Von vorn bis hinten witzig und treffend.