Samstag, 30. Juni 2007

Ein Mädchen, das weiß, was er will

Gestatten: Loletta. Acht Jahre alt, Tendenz steigend. Grundstimmung: skeptisch, aber süß. Ein echter Schnuckel, kann ich Ihnen versichern, werte Leserschaft. Und nun, nach dieser Exipedition, kann’s auch schon losgehen. Text ab, bitte.
Im Verkaufsraum tummelten sich die abgehalfterten Vorabendseriendarsteller. Der Steinbruch lag mittenmang nebenan.
Loletta, noch ungeübt im Gebrauch ihrer schönen langen Fingernägel, trat aus Versehen eine Sprudelflasche um. Regen prasselte auf das Vordach, pardon, richtig muß es natürlich heißen: Vorhaut. Denn Lolettas Herr Papa lag mal wieder nackig im Garten, FKK, freie Körper für freie Bürger. Braun würde er davon zwar nicht werden, aber immerhin rostig.
Mit ihrer buckligen Verwandtschaft hatte Loletta schon ein gutes Paket zu tragen. So ein kleines Mädchen und so viel Gepäck. Von den Gottschalk-Brüdern fehlte mal wieder jede Spur. Typisch. Auf nichts ist Verlaß, wenn man es mal braucht. Nicht mal auf das Verlassenwerden.
Egal, erst mal rübergemacht in die Küche, die sogenannte gute Stube. Muttern stand am Herd und kochte irgendwas mit Rübenkraut. Dazu Klänge aus dem Volksempfänger.
Dort im Radio dudelte soeben der neueste Foxtrot der amerikanischen Stimmungsmusikerin Rihanna. Ihre Unterhaltungskunst ließ freundliche Bilder von regennassen Straßen, pitschepatsche Füßen und groß genügenden Regenschirmen für Zwei vor dem geistigen, gichtigen Auge entstehen. Ella, ella, e, e. Schubidu.
Jedoch klang der dazugehörige Soundteppich mitnichten nach Swing in Paderborn, sondern mehr nach elektronischer Auslegeware, hart, kalt und zugeknallt. Das sollte die Liebe im 21. Jahrhundert sein? Loletta bekam es faustdick mit dem hartnäckigen Frösteln der frühen E-Milch zu tun. Halbfett, aber voll Emo.
Morgen war schon wieder ein Tag. Das Gewitter konnte kommen.

Freitag, 22. Juni 2007

Sadismus ist nur ein Wort

Kaltes Wasser macht wacher, warmes Wasser macht sauberer. Dazwischen gibt es nichts. Man kann nicht alles haben im Leben.
Und doch soll keiner sagen, man könne in diesem Puff nicht auch noch was lernen: So dürfte ab heute überall unterhalb meiner Leserschaft bekannt sein und als ebenso auch vorausgesetzt werden, daß Frankreich das touristisch am besten erschlossene und ausgelastete Land der Welt ist mit über 50 Millionen Spaten von Ganzweitdraußen und gerne auch mal Fremdher, die da jedes Jahr durch die Lande kreuchen.
Viel besser hat es da doch Südkorea. Das ist nämlich der Staat mit den weltweit meisten Mitgliedern in öffentlichen Bibliotheken. Über zwei komma eins Millionen Schlitzaugen lesen gerne Bücher, ohne sich diese dafür gleich kaufen zu müssen. Da kann man richtig was an Asche sparen. Schlaues Volk, yes indeed.
Und die Deutschen? Bleiben hinter all dem zurück. Machen langweilige rothaarige Mathematikstudentinnen aus Bayern zu ihren Aushängeschildern. Glauben jeden Scheiß. Selbst, wenn man, sich das Lachen nur mühsam verkneifend, salbadert: Modeln ist wirklich ein anstrengender Beruf. Knallhart ist das und total heavy, sag ich dir. Aber wem sag ich das? Teilweise kriegt man da als Model am Tag wirklich nur zehn Stunden Schlaf... Hihi. Aber lustig ist das alles nicht, denn wo die Frau zum Bundeswehroffizier geht, läßt der Rotarmist das letzte Fünkchen Hoffnung fahren.
Sadismus ist nur ein Wort. Und doch brauchen wir mehr Schmerz. Und diesen eimerweise. Tag für Tag. Immer her damit. Mehr, gib mir mehr. Gesegnet sei der, welcher uns den Schmerz gibt. Der uns erniedrigt durch und durch.
Nur die Hölle ist für unsereins gut. An allen anderen Orten ist nicht zu leben. Ohne das lodernde Feuer werden wir zu zart, werden womöglich gar noch zu Steinen.
Der Schmerz aber ist unsere Seele, unser Wesen, unser Blut, unser Geist, unser Gott.
Ja, der Schmerz selbst ist zu Gott geworden. Und das träge Fleisch wurde zur Liebe.
Da ist nichts mehr zu verstehen, man muß es schon glauben.

Freitag, 15. Juni 2007

Kein Mann für eine Nacht

Heute morgen stand etwas über mich in der Zeitung. Die Überschrift lautete: Deutsche Männer interessieren sich immer weniger für Sex. Yessir, so sieht’s mal aus.
Wer genau hinsieht, erkennt heutzutage an den Herren der Schöpfung deutlich einen neuen, aufregenden Trend: den hin zu einer neuen Prüderie. John Cassavetes wußte es schon immer, der war bereits in den 1960ern zu dem Schluß gekommen, daß jede Frau besser aussieht, wenn sie Klamotten anhat, als wenn sie nackig vor einem steht. Langsam sickert dieses Wissen nun auch in unsere Gesellschaft ein.
Die Frauen jedoch sehen gar nicht ein, warum sie sich plötzlich bedecken sollten. Sie haben schließlich jahrzehntelang verbissen dafür gekämpft, auch mal blank ziehen zu dürfen. Schlechte Manieren an den Tag legen, das erscheint ihnen heute als höchste Form der Emanzipation.
Eine Umfrage des Kondomherstellers Durex ergab: Jeder dritte Mann würde für Geld auf Sex verzichten – und das lebenslänglich. Ich reihe mich da gern ein, denn auch mir ist schon seit langem die Lust vergangen.
Drei Viertel aller Männer finden es in Ordnung, wenn im Bett mal weniger läuft. Bei den Damen sehen das hingegen nur 58 Prozent so. Gar jeder zweite Mann freut sich sogar mehr auf das Vorspiel als auf den Vollzug an sich. Und jeder Vierte knipst, wie zu Großmutters Zeiten, das Licht aus, wenn es zur Sache geht. Mann, übermüdet von der tagtäglichen medialen Bilderflut, will die Frauen auch gar nicht mehr sehen. Schließlich kennt er doch schon alles. Die holde Weiblichkeit aber will dies nicht auf sich sitzen lassen: Schon fordern 43 Prozent der Frauen energisch, daß er sie gefälligst nackt ansehen soll, so wie sie sind.
Und jeder fünfte Herr befürchtet gar, daß seine Partnerin öfter Sex haben will als er. Und womit? Mit Recht. Denn mit dem Rückzug der Männer geht zugleich ein Prozeß der gesteigerten Unverschämtheiten auf Seiten der Frauen einher, die immer aggressiver ihre sexuellen Wünsche artikulieren und regelrecht mit Schaum vor dem Mund auf ihren anvisierten Adonis losgehen, der es ihnen doch gefälligst besorgen soll. So zur Brust genommen, wundert es nicht, daß dem Knaben dann auch noch der letzte Rest der Libido schlagartig schwindet.
Die Frauen von heute beklagen sich darüber, noch nie von einem fremden, sympathisch wirkenden Mann angesprochen worden zu sein. Ihre Verwunderung darüber würde sich in Grenzen halten, wenn sie ab und an mal kritisch in den Spiegel schauen würden.
Gerade die jungen Dinger sind es, die sich nach den überkommenen Männlichkeitsbildern sehnen, welche ihre Mütter vor über dreißig Jahren endgültig in die emanzipatorische Tonne gekloppt haben. Am liebsten würden sie mal wie die Tiere rammeln wollen und von einer fleischgewordenen Naturgewalt, die sie erobert wie eine Großmacht einen Zwergstaat, vernascht werden.
Darauf können sie allerdings lange warten, denn Testosteronhengste gibt es nicht mehr. Die Männer sind jetzt einfühlsam und gelassen, sie können kochen und putzen und sind somit letzten Endes feminin.
Der gefühlsbetonte Bruce Darnell ist das Vorzeigemodell unserer Zeit und nicht mehr Arnold Schwarzenegger als grunzender Barbar Conan. Harter und dreckiger Analsex ist nicht mehr, die Dampframme hat ausgedient.
Männer machen nun das, was früher nur die Frauen taten: Sie lassen die Damen zappeln, lächeln scheu und locken sie erst an, um sie dann doch abzuweisen.
Mann sitzt bei der Madame daheim auf der Bettkante, sie hält es vor Erregung kaum noch aus und ist bereit, sich ihm hier und jetzt hinzugeben – da fällt ihm auf einmal ein, daß er sie jetzt, beim zweiten Date, vielleicht doch noch nicht ausziehen will, sondern erst mal in Ruhe kennenlernen, als Mensch.
Wer die jungen, modernen Herren von heute erobern will, dem muß klar sein: Ohne Gefühl geht es dabei nicht. Ihre Körper bekommt nur, wer auch ihr Herz will. Die Frauen werden sich darauf einstellen müssen.

Samstag, 9. Juni 2007

Im Vertrauen

Nach der Werbepause kamen welche zu mir, die wollten einen Artikel zur Weltlage. Ich machte mir keinen Reim drauf. Sondern tanzte lieber ein Gedicht.
Obacht, Titel folgt: Blauer Bock statt Schwarzer Block. Nun noch dazu Text: Putin doof, attac doof, Krieg böse, Bob Geldof geh weg. Gutmensch stinkt, Schlechtmensch trinkt. Das Letzte, was die Welt braucht, ist noch ein Konzert für Afrika. Wir sind Helden und ihr nicht. Hallo G8: Keiner will mit dir spielen. Hallo Demonstrant: Kein 18jähriger sollte sich einbilden, zu wissen, wie die Welt organisiert sein muß. Gedicht aus.
Danach plauderte ich mich in die Beliebigkeit.
Wo wir schon mal so gemütlich beisammensitzen, will ich euch eins verraten: Wir müssen uns Casanova als glücklichen Menschen denken. Ja wieso eigentlich? Nur wegen des Gesichtsausdrucks beim Nageln? Zugegeben, Jesus hatte dabei deutlich weniger Fun. Aber der war schließlich auch nicht zum Aktivurlaub nach Golgatha gepilgert. Trotzdem, trotz allem: ein alter Hut. Doch woher die neuen nehmen und nicht stehlen?
Selbst der olle Sgt. Pepper ist nun schon stramme 40 geworden. War damals schon eine ausgemachte Scheißplatte und ist es heute natürlich immer noch, wieso auch nicht? Und doch sitzt sie breitbeinig, selbstverliebt und dickärschig im verkommenen Pop-Kanon herum, haha, Pop-Kanon, ich lach mich tot, ein Widerspruch in sich, so wie schwarzer Schimmel oder politische Korrektheit oder ehrlicher Vorstandsvorsitzender.
Die Arriviertheit kommt und legt sich über alles, als wäre ihr Name Mehltau. Daß diese alte Brunze, Frau A., mit den Jahren unweigerlich über allem entsteht, und alle Leute sich deshalb daran zu gewöhnen versuchen, weil sie sich halt daran gewöhnen müssen, macht die Sache ja bloß noch trauriger und elender. Aktuell betreibt Paulchen aus Liverpool unsaubere Geschäfte mit Ahabs Kaffeerösterei. DJ Ötzi hätte das nicht nötig, ebenso wenig wie Scooter.
Mein Leben ruinieren, das kann ich inzwischen ganz gut selbst, und doch besitzt es einen gewissen Reiz, die Häscher vom Erschießungskommando vor den Büros der Musikzeitschrift aufmarschieren zu sehen.
Hat das jemand mitgeschrieben? Gut. Wenn nicht: noch besser.
Ein Mensch, der mich mag, kommt rüber und rät mir: Ach, liebes Schreiberlein, hör mir doch auf mit deinem Argumentationsspasmus.
Okay, das kickt, und ich will auch nicht so sein, meinetwegen, deinetwegen. Dann eben heute abend kein Text mehr. Und dafür doch Ping Pong.

Samstag, 2. Juni 2007

Sturm

Die Boshaftigkeit des Lebens greift mich an und spiegelt dabei doch nur meine eigene. Ich fühle mich verschaukelt und nehme allgemeine Naturereignisse als persönliche Beleidigung entgegen.
Gestern war ich fuchsteufelswild, früh am Nachmittag verfinsterte sich der Himmel, Regen brach herab, als wollte er die ganze Welt zerschlagen, uns alle miteinander ertränken für Dinge und Verfehlungen, an die wir uns längst nicht mehr erinnern können. Ein Sturm zog auf, die Bäume rauschten, doch bogen sich vernünftigerweise lieber im Wind, für den sie nichts konnten, anstatt halsstarrig zu bleiben und in ihm zu zerbrechen. Blitze zuckten, fernes Grollen, dann nahes Zerreißen, Bersten der Luft, Schreckmomente, Herzstillstand, fast.
Erst am Wochenende hatte uns der Satan der Lüfte, von vielen euphemistisch als Wettergott in ihren Annalen geführt, mit kirschgroßen Hagelkörnern eingedeckt, gestern gab er uns dann des nahenden Weltuntergangs zweiten Akt.
Und doch blieb alles bestehen, und wie eine alte abgewrackte Hure, die sich mit dem Tuschkasten das verzerrte Maul bepinselt, um wie hinter einer Maske ihr wahres Gesicht zu verbergen, so setzte auch die Natur kurz darauf wieder ihr bestes und falschestes Sonntagslächeln auf.
Der Regen setzte aus, die grauschwarzen Wolken schlüpften fort und hinterließen an ihrer statt einen schwachblauen Himmel, Vögel zwitscherten, als sei das Leben etwas Begrüßenswertes.
Ich aber konnte in diesem Moment diese beiden derartig voneinander abgetrennten Entwürfe nicht gemeinsam denken und geriet völlig außer mir über die friedliche stille Welt nach dem Tosen. Der sicher geglaubte Untergang, die Peitschenhiebe des Windes, das nahende, drohende Sterben, das metrologische Amoklaufen erschien mir als die wahre, unverstellte Fratze der Welt, die anschließende Ruhe verdammte ich als falschen Budenzauber, nur dazu da, die Törichten unter uns noch ein Weilchen in falsche Sicherheit zu wiegen.
Ich kann die Gegensätze nicht verbinden, für mich gibt es jetzt nur noch Schmerz, Leid, Tod und Vernichtung. Erneutes Glück nach erlebter Enttäuschung ist Illusion, Leben auf diesem Planeten außerhalb meines Zimmers gibt es nicht.
Schönes und Schlimmes gehören nicht zusammen, ich verdamme Euren freundlichen Buddhismus in Grund und Boden, kann ihn nicht für mich als Gedankenmodell annehmen, will lieber mit Eisen ins Holz geschlagen werden, aufgespießt, gepfählt, gekreuzigt für meinen Starrsinn.
Wie kann die Natur nur so grausam sein, leben und sterben gleichermaßen zuzulassen? Daran zerbrach ich an diesem Nachmittag und hörte auf zu fühlen. Nun bin ich der letzte Schnappatmer und schreibe auf einem verglühenden Stern meine finalen, bald verlöschenden Notizen. Das ist der Wahrheit.