Samstag, 28. Juli 2007

Neidische Leichen

Sommer ist in der Stadt, Leute drehen durch. Erst gestern erzählte mir eine Krankenschwester, Mitte 30, einen Schwank aus ihrer Jugend, ach pardon: gar nicht wahr, doch nur vom letzten Jahr.
Sie meinte so zu mir: Im letzten Winter hatte ich einen Patienten an der Nierenmaschine, einen netten, alten Herrn, der war 92 Jahre alt. Und dieser liebe Mann starb in der Woche vor Weihnachten in meinen Armen, mit seiner Hand in meinem Höschen.
Dabei lächelte sie scheu. Kurzfristig war ich bei dem Gedanken an das Beschriebene etwas neidisch auf den Toten, bis ich begriff, daß das Unsinn ist: die Toten beneiden, wo kommen wir denn da hin?
Ist doch eh allen klar, daß die eigentliche Richtung umgekehrt verlaufen sollte – DIE müßten UNS beneiden, weil wir leben, weil wir im Sommer hübschen Mädchen hinterherkucken können, die kurze Röcke tragen, weil wir die Hoffnung noch nicht aufgegeben haben, daß unser Verein doch noch mal irgendwann Deutscher Meister wird und daß es mit der einen Frau, denn eine gibt es immer, das ist wissenschaftlich bewiesen, daß mit der doch noch alles ein gutes Ende nimmt, auch wenn es danach echt nicht aussieht momentan.
Auf den Friedhof kommen wir alle miteinander eh früh genug, schlafen, so lautete ein schwer bescheuerter Spruch von Fassbinder, kann man immer noch, wenn man tot ist, was Blöderes hat man selten gehört, mit Ausnahme des anderen unmöglichen Satzes von, ja, genau, schon wieder RWF höchstselbst, der sich ungeniert zur medizinischen Koryphäe verstieg, weil er meinte, den Schlüssel zum Begreifen der weiblichen Migräne erlangt zu haben.
Die Pointe erspare ich mir, die ist an jedem bundesdeutschen Stammtische besser aufgehoben als hier an diesem Ort des Wahren, Guten und Schönen. Des Textes. Der sich in dunklen Gassen mit zwielichtigen Gestalten trifft, die ihn bezahlen oder eben auch nicht. Den Toten eigentlich gar nicht so unähnlich.
Gibt es überhaupt Stammtische im Jenseits?

Samstag, 21. Juli 2007

Rap und ich sind Freunde (nach wie vor)

Es sind schon fürwahr komische Zeiten, in denen unsereiner die Tage seines Lebens verbringen muß.
Rechthaberische „Tagesspiegel“-Feuilletonisten beenden ihre Artikel über den reunierten Freundeskreis mit einem verbalen Säbelhieb: „Der deutsche Hiphop ist in einem jämmerlichen Zustand.“
Das vor den Latz geknallt zu bekommen tut denen, die Rap und seine Kultur wirklich lieben (und dazu zähle ich mich), wohl in etwa so weh wie den Hinterbliebenen eines Verstorbenen, die in einem gehässigen Nachruf in der Zeitung über den Betrauerten das unverschämte Fazit lesen müssen: „Er war kein guter Mensch.“
Überhaupt fällt auf, daß die Berichterstattung über Altvordere wie die Fantastischen Vier oder Dendemann nur noch selten ohne die gleichzeitige Totalabgrenzung von der aggressiven jungen Berliner Szene auskommt.
Anstatt sich auf die Stuttgarter Kolchose selbst zu konzentrieren, nehmen gefrustete Existenzen das Wiederauftauchen und die Comebacks der verdienten 90er-Jahre-Recken immer wieder zum Anlaß, auf alles und jeden zu schießen, der vor der Ergreifung des Mikrofons nicht mindestens fünf Semester Philosophie studiert hat.
Sie trauern dem idealisierten Bild ihres ungelenken Helmut-Kohl-Ära-Reihenhaussiedlungs-Spaßrap hinterher – und somit in Wahrheit eigentlich nicht der Musik selbst, sondern nur ihrer Jugend.
Das Problem, welches Menschen wie ich haben, die mit dieser Kultur groß geworden und noch immer nicht bereit sind, sie einfach so beim spätestens dritten Hahnenschrei zu verleugnen, ist, daß der arme, oft gescholtene HipHop sich nicht mal wehren kann. Jeder darf alles über ihn behaupten.
Ich aber sage Euch, Rap in Deutschland ist still okay, ja, mehr sogar noch: er war nie lebendiger, vielschichtiger und wertvoller als heute.
Der deutsche Rap von heute besitzt alles, was man sich von Subkultur und Pop überhaupt nur wünschen kann: den Drang nach Rebellion und Veränderung, Angriffslust, soziale Wachheit, Spaß und Humor, Härte und Intelligenz. Die Mittelschichts-Monokultur der 90er ist einer wundervollen, facettenreichen Vielfalt gewichen.
Wer den vermeintlich guten alten Zeiten hinterhertrauert, ist nur zu faul, nach den für ihn noch immer relevanten Aspekten (die es weiterhin gibt) zu suchen. Früher lief A-N-N-A bei MTV, heute Frauenarzt, und das ärgert den landläufigen Meinungsgnom, der es nicht ertragen kann, wie bildungsferne Schichten eben die Musik zurückerobern, welche eigentlich von Anfang an genau für sie gedacht war.
Pseudointellektuelle bolzen gegen den Berliner Atzen-Rap, rudern aber gleichzeitig in ihren von schäbigsten Vorurteilen verblendeten Artikeln gleich auch immer wieder verbal ein Stück weit zurück, faseln dann was vom kalten sozialen Klima, welches ja solche verwahrlosten Zustände und sexistischen, gewaltbereiten und homophoben Menschen erst geschaffen habe – nur um ja nicht von abschätzig betrachteten Gestalten wie Massiv, MC Bogy oder MOK bei nächster Gelegenheit was aufs Maul zu kriegen.
Genau die aber wird das differenzierende „Einerseits / Andererseits“ wohl wenig interessieren, die lesen nur die Beleidigungen gegen sich heraus und pfeifen auf den restlichen soziologischen Überbau – wie ja auch die Hells Angels Mitte der 60er Jahre mit blanker Verwunderung auf das reagierten, was Hipster wie Ken Kesey oder Allen Ginsberg in ihre pöbelnde, bierselige No-Future-Bewegung auf Biegen und Brechen hineininterpretieren wollten.
Gerade der mediale und bildungspolitische Zirkus, der noch immer um Arschficksong und Verrohung der Jugend, schwulenfeindliche Texte und Gewaltpropagierung gemacht wird, beweist doch, daß HipHop noch lange nicht tot ist, sondern weiterhin enorme Sprengkraft besitzt – und somit zu Recht die legitime Nachfolge seiner inzwischen mehr als harmlos gewordenen großen Brüder Rock’n’Roll und Punk angetreten hat.
Der Rap von der Straße zeigt dem erschreckten Bürgertum die häßliche (sub-)proletarische Fratze einer Gegenwelt, welche dieses gerne aus seiner Wahrnehmung verbannen würde. Ghettos in Deutschland? Undenkbar, wenn man in der Zehlendorfer Stadtvilla wohnt. Würde man sich jedoch mal die Mühe machen, zwanzig Minuten mit der U-Bahn statt immer nur mit dem Audi zu fahren, rüber nach Neukölln oder in den Wedding, dann bekäme man schnell eine Vorstellung davon, wieso die jungen Leute sich ausgerechnet so artikulieren, wie sie es in ihrer Musik tun.
Es geht mir gar nicht darum, jeden noch so strunzdoofen Vertreter des Genres um jeden Preis zu verteidigen. Ein Machwerk wie „Keine Toleranz“ von Boss A und G-Hot etwa ist in der Tat unter aller Sau (spiegelt aber gerade dadurch die Meinung eines erschreckend großen Teils der heutigen Jugend leider ziemlich genau wieder). Das sind keine edlen Wilden, sondern bloß dumme Menschen mit häßlicher, inakzeptabler Weltanschauung.
Wichtig ist mir nur eins: die Verhältnismäßigkeit der Reportagen und Artikel – und gerade die ist in den sensationsgeilen deutschen Medien, was Rap anbelangt, schon lange nicht mehr gegeben.
Daß der bisher beste und sachlichste Artikel über die Berliner Untergrund-Szene mitnichten in den Hochburgen des vermeintlich anspruchsvollen Journalismus, sondern ausgerechnet in der nicht eben HipHop-affinen Studentenpostille „SPEX“ erscheinen mußte, spricht dabei ebenso Bände.

Samstag, 14. Juli 2007

Erinnerungssplitter

Die letzten Wochen waren nicht leicht, für keinen von uns.
Sarkozy nimmt drei Stufen auf einmal, ist anschließend außer Atem, schwitzt, grinst sich einen vor der Pressemeute und bekommt einen Schluckauf. Nachher heißt es, er sei betrunken gewesen. Dabei ist der gute Mann bloß unsportlich wie die Nacht. Und somit schon wieder schwer sympathisch.
Andere haben deutlich weniger Glück, denen nutzt auch ihr Charme nichts mehr. Die sitzen monatelang im türkischen Knast, wo der Midnight Express grüßen läßt, bloß weil sie mit einem vier Jahre jüngeren Mädchen geschmust haben. Herrgotthimmelarsch, meine letzte Freundin war ganze sieben Jahre jünger als ich, komme ich deshalb jetzt in die Hölle? Nun, wahrscheinlich schon.
Apropos junge Mädchen, da fällt mir glatt folgender Witz ein: Die 13jährige Tochter kommt zu ihrer Mama und will die Pille. Die Mutter darauf völlig entsetzt: Aber, Kind, wieso denn? Antwort der Tochter: Na ja, es ist jetzt zwei Jahre gut gegangen, und man soll sein Glück nicht überstrapazieren...
Doch mal im Ernst: Bevor William Shatner zu Captain Kirk wurde, drehte er einen Film namens Frühreife Generation. Das war vor über 45 Jahren. Schon damals lebten die Eltern hinterm Mond. The times they are a-changin’? Leider manchmal nicht schnell genug. Denn hier geht’s nun mal nicht um Mißbrauch, sondern bloß um einen Urlaubsflirt.
Unzucht mit Minderjährigen? Ja klar, schlimme Sache. Noch schlimmer aber: Eltern, die ihr schlechtes Gewissen bekämpfen, indem sie hinterher zur Polizei rennen, anstatt vorher lieber mal ihrer Aufsichtspflicht nachzukommen. Stellt ihr euch anschließend scheinheilig vor die Fernsehkameras und heult rum: Sie ist doch noch ein Kind, schluchz schluchz, dann habt ihr aber auch davor gefälligst dementsprechend auf sie zu achten und aufzupassen.
Überhaupt: daß ausgerechnet DIE sich über das sexuelle Erwachen ihrer Kinder echauffieren – was Lächerlicheres gibt es doch gar nicht. Weil, ich sag mal so: Ihr habt selbst alle gefickt – oder wo kommen sonst eure Sprößlinge her? Es ist the same old story: Wasser predigen, Wein saufen, die olle Mumpe seit tausend Jahren.
Die BILD-Fraktion wirft der Türkei unterdessen so einiges vor, barbarische Zustände etc. Dabei will die Türkei doch nur allen beweisen, was für ein guter westlicher Rechtsstaat sie ist, mit ordentlichen Verfahren und allem Pi und Pa und Po. Bei den Fundamentalisten hätte es das alles nicht gegeben, die hätten wohl bereits die Strafanzeige nicht verstanden: 13 Jahre und Sex – ja und, wo ist das Problem? Nicht von ungefähr war die Braut des Propheten bei der Eheschließung erst acht Jahre alt.
Bevor deshalb jetzt aber die ersten Morddrohungen eintrudeln, machen wir uns zum Ausgleich lieber noch schnell ein paar andere Feinde und verkünden: Polen ist der Iran Europas. Nur, daß Ahmadinedschad nicht noch einen durchgeknallten Zwillingsbruder hat, sondern seine ganzen antiwestlichen Drohungen allein ausstoßen muß.
Ansonsten erinnere ich mich noch an dies und das: Beim Poker schlug ich sie alle, bloß weil sie am Spieltisch den Kopf verlieren, keine Geduld haben. All-in? Dein Pech. Mein Blatt ist besser. Drum her mit der Kohle. Sie hängen zwar den ganzen Tag am PC, doch brechen im wahren Leben sofort zusammen. Ts, ts, ts, diese Kinder.
Auch an anderen Orten scheint sich Erfahrung wieder auszuzahlen. Es ist nämlich so, daß die Rentner aktuell in die Kinos zurückkehren. Allerdings nicht als Zuschauer, sondern lieber gleich auf die Leinwand. Stallone, Bruce Willis, demnächst auch wieder Indiana Jones. Kommen und nehmen den jungen Leuten die Arbeitsplätze weg – also Vin Diesel etwa oder Jason Statham. Trotzdem, ich freu mich drüber. Nostalgie und Selbstironie waren schon immer ein süßes Pärchen, findet ihr nicht?
Im Garten saßen zeitgleich ein paar Glatzen. Riefen: Hier säuft der nationale Widerstand. Ich ließ sie.
Oben in Berlin gibt es Zoff wegen eines Musikvideos, das zu Gewalt gegen Polizisten aufruft. Der Rahmen der künstlerischen Freiheit sei hier klar überschritten worden. In einem Land, in dem die Freiheit der Kunst allerdings Grenzen kennt und in einen Rahmen gezwängt wird, will ich nicht leben.
Und dann hab ich noch die Autogrammstunde von Avril Lavigne verpaßt. Schade. Doch was soll’s? Sie ist ja eh schon verheiratet. Kommen wohl auch noch andere. Denn die 13jährigen sterben bekanntlich nie aus.

Samstag, 7. Juli 2007

Erstes Halbjahr 2007

Die Academy Awards. AC Mailand. Algerien. Anja Paerson. Anna Nicole Smith. Avril Lavigne.
Barack Obama. Beyonce Knowles. Blacksburg. Blood Diamond. Blumen. Boris Jelzin. Britney Spears.
Cameron Diaz. Cannes. Carl von Linné. Das chinesische Neujahr.
David Beckham. Dixie Chicks. Drachen. Dreamgirls. Drew Barrymore. DVD.
Earth Day. Emma Watson. Eurovision. Eva Longoria.
Fluch der Karibik. Ford Mustang. Forest Whitaker. Der Frühling.
Gerald Ford. Die globale Erwärmung. Golden Globe. Grand Canyon. Guantanamo.
Halle Berry. Helen Mirren. Henrik Larsson. Hillary Clinton. Hund.
James Brown. Jeep. Johnny Depp.
Kelly Clarkson. Königstiger. Kurt Vonnegut. Kylie Minogue.
LeBron James. Libanon. Lindsay Lohan.
Madonna. Mahmud Abbas. Michael Jackson. Michael Moore. Mr. Bean. Die Mondfinsternis. Morgan Tsvangirai. Muhammad Ali. Muttertag.
Naturwald. Nicolas Sarkozy. Nordirland.
Ocean’s Thirteen. Die Oscar-Nominierungen. Ostereier.
Paris Hilton. Paula Abdul. Peyton Manning. Pingu.
Russell Crowe.
Schimon Peres. Schmetterling. Ségolène Royal. Shrek 3. Simbabwe. Somalia. Sommer. Sonnenuntergang. Spiderman 3. SpongeBob Schwammkopf. Stirb langsam 4.0. Stockholm. Super Bowl.
The Beatles. Tony Blair. Treibhauseffekt.
Valentinstag. Venezuela.
Der Weltfrauentag. Whitney Houston. Der Wii-Controller. Will Ferrell. Winnie Puh.