Montag, 30. Juni 2008

Tagesfieber

Auf einer alten, verklapperten Klappcouch saß Hans Martin Eichelheimer vor einer noch klapperigeren Schreibmaschine. Von Anfang an bemerkte er dabei, daß es heute mit ihm und den Buchstaben keine innige Freundschaft mehr werden würde. Dabei war sein Stil um vieles besser als sein Durchhaltevermögen. Glücklicherweise befanden wir uns hier immer noch im Land der jämmerlichen Ästheten und nicht im Kessel von Stalingrad.
Was ihm bisher zwischen Tastatur und Farbband geraten war: ein schlechter Scherz. Der ging so: Ich verbrachte die Nacht mit einem Milchmädchen und ließ sie am Morgen mit ihren Rechnungen allein. Am anderen Tag traf ich auf offener Straße einen weißgewandeten Araber. Er kam mit einem breiten Grinsen auf mich zu und wollte mir eine offensichtlich gefälschte Swatch-Armbanduhr verkaufen. Da wurde es mir zu bunt, und es platzte mir der Kragen. Geh weiter, sagte ich zu ihm. Scheich dich! Betrübt schlich der Muselmane seiner Wege.
Eichelheimer kannte Frauen, auch persönlich, die total abfuhren auf diesen feinen sprachgewitzten Humor. Er fand ihn einfach nur zum Kotzen. Doch was anderes übrig blieb ihm trotzdem nicht.
Auf dem Donnerbalken über den Geranien saß zur selben Zeit eine sehr von sich selbst eingenommene eierlegende Wollmilchsau, die zärtlich und gedankenverloren an ihren Hämorrhoiden herumspielte.
Ich hoffe, vor der nächsten Lieferung wäschst du dir noch mal die Finger, maunzte Eichelheimer sie an.
Seien Sie unbesorgt, Mister und taken Sie es easy, my old Kentucky Dickerchen, gab sie kühl und affektiert zurück, unterdessen sie sich den Cowboyhut lässig noch ein wenig tiefer ins Gesicht rückte.
Ihren Anglizismen war einfach nicht beizukommen.

Freitag, 20. Juni 2008

Irre Irre Irre

Mein Freund Rainald Goetz war heute mal wieder unglaublich gut drauf. Angriffslustig wie in den alten Tagen, wo er sich in Klagenfurt oder wo auch immer das gewesen ist, mit einer Rasierklinge die Stirn aufgeschnitten hatte, nur um mal ein wenig Pepp in die ganzen satten abgehangenen Schweinehälften vor der Bühne zu bringen.
Er redete sich, während wir ziellos durch die nächtlichen Straßen des Wedding marodierten, in Rage, sein eigentliches Element. Diese ganze gegenseitige Eierschaukelei ist doch bloß noch zum Kotzen, setzte er an. Dieser wahnsinnige Sozialterrorismus mit Lob, das ist alles destruktiv, das gehört alles weggehauen. Denn Lob ist schlecht. Der installiert ein Gefälle, eine Nähe, eine Anmaßung. Etwas sei zu loben, weil es geglückt ist: ein Aussehen, eine Geste, ein Kontakt, erst recht natürlich jedes extra hergestellte Ding, ein Essen, ein Buch, eine Musik. Heilige Einfalt!
Mir geht es manchmal in Internetforen so, gab ich zu denken. Und das war nicht nur so dahergesagt, sondern auch wirklich meine Meinung. Ich fand es schon immer schwer daneben, wenn sich unbekannte Menschen auf einmal miteinander solidarisierten, nur weil sie die gleichen bescheuerten politischen Überzeugungen vertraten oder dieselben langweiligen Rolling-Stones-LPs für meisterhaft erachteten.
Rainald nickte und nahm im Gehen noch einen Schluck aus der Küstennebel-Flasche. Dann weiter: Gelobt zu werden ist furchtbar, die ganze Kaputtheit des Lobens wütet einen dann an. Wenn man sich gedankenlos ranschmeißt an das Gelobte anstatt die Freude des Geglückten einfach aufzunehmen und das Maul zu halten. Wer fragt denn noch, WARUM genau die geglückte Sache einem so geglückt vorkommt? Lob erniedrigt beide, den Gelobten wie auch den Lobenden. Analyse und Argument aber, die erhöhen den geistigen Zustand, in dem alles sich befindet. Zustimmung schwächt, Kritik stachelt an. Bringt Energie in die Welt! Voll in die Fresse! Dieses ganze stricherhaft Abgefuckte des Lobens, die Lobnutten, Lobtrottel, Trottelkartelle, die alles niederstampfen. Eine ganze Welt voller Kaputtheit und Verblödung, voller Scheußlichkeiten und Zuschleimungen. Heidenreich, Doebeling, Stalingrad.
Kritiker sind Parasiten, pflichtete ich bei und ließ mir auch mal den Küstennebel schmecken.
Rainald daraufhin: Es gibt keine schönere Art von Zustimmung zur eigenen Bemühung und den Resultaten, als die Ablehnung durch die, die man selber für totale Deppen hält. Die auch gerade deshalb so blöd sind, weil sie so viel Angst haben, selber abgelehnt zu werden. Die mit vorauseilender Zustimmung anderen gegenüber auftreten, nur um dadurch selber Zustimmung zu sich selbst zu erdealen, zu erzwingen. Alles sehr falsch.
Wir zwei waren uns einig darin, daß es unglaublich die Laune hebt, wenn man so bei sich merkt, daß man mit all dem Zirkus nichts zu tun hat, weil man selber anders ist und anderes beabsichtigt. Hymnen kotzen, schöne Texte machen, Leben lernen, Liebeszauber, halleluja.
Wichtig ist, resümierte da Goetz und funkelte mich mit einem geilen Blick an, daß man sein Ding gnadenlos durchzieht. So wie Wolle Petry.
Wenn ich nur wüßte, was mein Ding ist, meinte ich da nachdenklich, um auch mal wieder was zu sagen. Denn der mickrige Wurm in meiner Unterhose war ja wohl kaum der Rede wert. There must be more than this, irgendwo da draußen.
Nachher in dieser Nacht überfielen wir noch einen jugendlichen Araber und zogen ihm zwanzig Euro, sein Klappmesser und den MP3-Player ab. Wir fühlten uns wie die Könige der Dunkelheit.

Montag, 16. Juni 2008

Janz weit draußen mit Johann Wolfgang Dickensäck

Man ist, was man ißt. Dickensäck war ein Glückskeks.
In seinen Augen war das Leben die große Praxis des Unsinns, die angewandte Blödheit. Ein Irrsinn, eine fixe Idee und auch eine Dummheit, die zum Tode führt. Ein bißchen Spaß muß schon sein.
Die Entfernung war für ihn die erste politische Hygiene. Wer weit weg von Dickensäck ist, dem kann er nur schwerlich das geben, was er oder sie verdient, und sei es auch nur furchtbar bös den Arsch voll. Wer ihm also fern bleibt, ist somit seines Lebens sicher. Die Nähe ist die Zumutung, die Ferne jedoch ein Ruhezustand.
Auch kannte Johann Wolfgang seit Kindertagen den großen, bedeutsamen Unterschied zwischen Ost und West. Und der geht so: Churchill sammelte Witze, die Menschen über ihn machen. Stalin sammelte Menschen, die Witze über ihn machen.
Was Dickensäck der Jüngere, der sich für einen sehr russisch unorthodoxen Typen hielt, noch verinnerlicht hatte und nicht bloß in den Zeitungen aufgeschnappt: Die Deutschen bekommen nur deshalb so wenig Kinder, weil ihre Frauen so häßlich sind und ihre Männer bloß Luft im Sack haben. Das ist die wahrste Wahrheit, Frau von der Leyen.
Als Dickensäck dann, in Anbetracht der eigenen mißlichen Lage, abends gemütlich an sich herumspielte, dachte er so bei sich: Marta Jandová, ich will ein Kind von dir. Oder wenigstens ein paar aussagekräftige Nacktfotos. Auch in ihm steckte also irgendwo noch ein waschechter Romantiker.
Am nächsten Morgen kam David Lynch vorbei und kackte in Dickensäcks Vorgarten. Als dieser es später seinem Vermieter erzählen wollte, glaubte der ihm kein Wort.

Samstag, 7. Juni 2008

Alte Liebe räuspert sich

Wir trafen uns an einem Mittwoch. Dem Tag, an dem alles passieren kann.
Ich holte sie vom Bahnsteig ab. Sah sie schon von weitem, erkannte sie aufgrund der Bilddatei, die sie mir als E-Mail-Anhang geschickt hatte.
Als ich vor ihr stand, wollte ich sie gleich umarmen. Sie streckte mir allerdings nur ihre zierliche Hand entgegen.
Klar, okay, das konnte ich verstehen. Manche Menschen mögen halt keine Gefühlsausbrüche unter Fremden. Und fremd, das waren wir, denn im Prinzip kannten wir uns ja noch gar nicht.
Wir hatten uns zwei Monate zuvor im Internet kennengelernt, ein paar Mal telefoniert, mehr nicht.
Dies hier war unser erstes Treffen in der wirklichen Welt. Genauer gesagt: am Kölner Hauptbahnhof.
Der Himmel über der Stadt, typisch für den rheinischen Sommer, erinnerte an feuchtes braunes Kammgarn. Köln zeigte sich von seiner schönsten Seite, wie eine bodenständige Witwe in Grau.
Ich lasse mich nicht gerne fotografieren, erklärte sie und drehte sich weg, als ich die Kamera auf sie richtete.
Das hielt mich allerdings nicht davon ab, heimlich Aufnahmen von ihr zu machen. Immer, wenn sie nicht hinsah. Sie vor dem Dom. Sie am Rhein. Sie in der Altstadt. Lauter so Zeugs. Damit füllte ich bis zum Abend einen ganzen Film.
Später im Café sagte sie etwas und sah mich dabei an, doch sie meinte gar nicht mich. Sie meinte ihren Mann, der nicht da war, der sie nicht hören konnte, der jetzt bei einer anderen lag und nicht mehr zu ihr zurückkommen würde.
Ihr verwundetes Herz war für mich so unerreichbar wie für einen Demonstranten das Kurhotel auf der anderen Seite der Bannmeile von Scheinheiligendamm.
Als ich sie abends wieder zu ihrem Zug brachte, war ich es, der ihr bloß die Hand entgegenstreckte.
Ich kann mich auch täuschen, aber in diesem Moment schien sie mir ein bißchen überrascht und ja, irgendwie auch traurig zu sein. Vielleicht wäre sie jetzt bereit gewesen, mich zu umarmen. Es ging aber einfach nicht mehr.
Heute nacht kann ich nicht schlafen und muß an sie denken. An sie vor dem Dom. Sie am Rhein. Sie in der Altstadt. In diesem längst vergangenen Sommer, der keiner war.Der verschossene Film liegt noch immer auf meinem Schreibtisch. Ich hoffe, ich habe irgendwann mal genug Geld, um diese Bilder entwickeln zu lassen.

Montag, 2. Juni 2008

Deutschlandsuche

Deutschland ist:
Ein föderaler Staat im westlichen Mitteleuropa, der aus 16 teilsouveränen Bundesländern besteht.
Gründungsmitglied der Europäischen Union und mit über 82 Millionen Einwohnern deren bevölkerungsreichster Staat.
Kein Rechtsstaat und kein demokratischer Verfassungsstaat.
Eines der sichersten Länder der Welt.
Weltmeister im Abhören.
Führend bei der inneren Sicherheit.
Farblich hervorgehoben.
Ein Medienprodukt.
Viel zu laut.
Nach Frankreich das zweitpopulärste Traumreiseziel für die Russen.
Phishing-Hochburg in Europa.
Schnappi.
Gegen niedrige Handy-Tarife.
In Europa Dickenland Nummer 1 – zu diesem Ergebnis kommt eine internationale Studie.
Schön – sehr schön sogar.
Ein Kaffee-Land (so der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Kaffeeverbandes, Holger Preibisch).
Dagegen und stimmt dafür.
Ein sehr vielfältiges Land – du hast Berge, Seen, Wälder, Meer und schöne Städte (Berlin, Hamburg, München, Dresden usw.). Leider läßt hier meist das Wetter zu wünschen übrig.
Erneuerbar.
VOIP Europameister.
Weltmeister bei Fallpauschalenvergütung.
Wieder Exportweltmeister.
Nur Mittelmaß, wenn es darum geht, verläßliche Lebensumwelten für die junge Generation zu schaffen.
Auf dem richtigen Weg (laut Ronald Pofalla).
Weltmeister in der Arbeitslosigkeit gering Qualifizierter.
Ein Zuwanderungsland.
Kein Einwanderungsland.
Nicht auf dem Weg in eine Basarökonomie.
Doch erpreßbar.
Europameister 2006 – und zwar bei der neu installierten Fläche von Sonnenkollektoren.
Spam-Land Nr. 1.
Digital gespalten.
Herausgefordert.
Im Wort.
Top-Standort in Europa.
Mein Traumland.
Kein schönes Land...
Überbevölkert.
Ein schönes Land mit allen landschaftlichen Regionen, die hier in Mitteleuropa denkbar erscheinen. Vom Hochgebirge über Mittelgebirgslandschaften, Flußauen bis hin zu den Gestaden von Nord- und Ostsee!
Einer der größten Klimakiller.
Noch immer ein Jodmangelgebiet.
Drehscheibe für den Strommarkt in Europa.
Weiterhin Fünfter in der Vereinswertung der UEFA.
Der Schlüsselstein in diesem Mosaik.
Schön, hat Denker und Dichter – also seid stolz darauf!
Die Heimat der Premiummarken.
Ein Studium wert.
Eines der innovativsten Länder der EU.
Und bleibt schön, auch wenn egoistische Politiker mit ihrer Korruption und Machtgeilheit alles in grau färben.
Trauriger Spitzenreiter.
Wieder im Fußballfieber.
Handball-Weltmeister.
Vizeweltmeister im Curling.
Kodierweltmeister.
Medizinisch nur Mittelmaß.
Bei den Lohnstückkosten im internationalen Vergleich nicht wettbewerbsfähig.
Gastgeber der Fußball-WM 2006.
Raus bei Quaero.
Traditionell Exportnation.
Hamlet!
Online.