Donnerstag, 25. Juni 2009

Das Leben, ein Freispiel

Ich stand morgens auf und hatte schon keine Lust mehr auf den Rest des Tages. Im Briefkasten fand sich nichts als Reklame. Ein Herrenausstatter wollte mir tuntige Klamotten aufschwatzen, in Ätzfarben wie Violett und Rosa.
Später mußte ich in die Stadt. Auf allen Wegen ward mir dabei so, als lebe der metrosexuelle Mann von heute extreme close to Homo und das nicht nur in der U-Bahn. Apropos öffentlicher Nahverkehr in Köln: Nicht der Zug wird größer, sondern bloß der Tunnel. Blick ins Nichts, Erkenntnis von Allem.
So schwerfällig kam ich mir schon seit Jahren nicht mehr vor. Hatte ich den rechten Zeitpunkt zum stilvollen Abtreten etwa schon um einige Wochen verpaßt? Das wäre schade. Aber nicht zu ändern. Schließlich sagt dir nie einer, daß du aufhören sollst, solange noch die Kohle stimmt. Mick Jagger kann dir ein Lied davon röcheln. Und nur die wenigsten tun es aus reiner Liebe zum Spiel, wie damals noch Andre The Giant. Der stand halt einfach gern im Ring. Auch, als er sich vor Schmerzen kaum noch bewegen konnte. Ruhe in Frieden, sanfter Riese.
Wie dem auch sei, neben meiner Wenigkeit sind in dieser Woche außerdem noch vom Artensterben bedroht: die Meeresschildkröte, der Sumatra-Orang-Utan, der afrikanische Elefant, das indische Panzernashorn und der deutsche Mittelstand.
Bevor es abends zu dunkel wurde, um noch irgendetwas erkennen zu können, legte ich im Schimmer vom letzten Tageslicht noch schnell eine Liste mit Dingen an, die ich in den Sommerferien unbedingt erledigen möchte. Ganz oben dabei: Einen Sarg bauen, in dessen Innerem sich ein Flipper befindet, mit vielen Leuchtdioden und Rampen und Blinklichtern. Das Leben, ein Freispiel.

Mittwoch, 17. Juni 2009

Inkassobüro Sivkovic

Ach, du hast also gehört, ich sei ein richtig harter Kerl? Na ja, laß es mich mal so sagen: Um den Käse zum Bahnhof zu rollen, reicht’s.
Aber du hast schon Recht: Ich bin wirklich ein ganz ein schlimmer Finger. O ja. Mir begegnet man besser nicht in einer dunklen Gasse. Hihi.
Mein zweiter Vorname ist übrigens Fubak. Das ist Serbisch oder so und steht für: Furchtbar bös den Arsch vollkriegen. Und genau das kannst du haben, wenn du mir noch mehr unverschämte Fragen stellst.
Jahrelang bin ich nun schon in diesem wunderschönen Inkassobüro tätig. Wer nicht zahlen will, muß fühlen, das war schon immer so. Und was die Auftragslage angeht, können wir uns echt nicht beklagen.
Mein Chef, Keule Eminenz, der wo da drüben am Mahagonischreibtisch sitzt, jener mit dem Goldzahn im Gebälk, der lächelt eigentlich den ganzen Tag vor sich hin, auch wenn er total mies drauf ist. Diese Grinserei kann einem auf die Nerven gehen, muß aber nicht. Das ist eben seine Vorstellung von einem Pokerface. Und vielleicht hat der Chef ja auch einen an der Knolle, weil er immer lächelt, kann schon sein. Das sagst du aber besser nicht zu laut, wenn er in der Nähe ist, denn sonst gibt es mächtig Ärger. Plus Knochenbrüche, und die nicht zu knapp.
Ansonsten laufen die Geschäfte wirklich gut. Sieht man doch schon an Chefchens Porsche, oder? Klar, mag mancher nun vorwitzig einwenden, das ham wir schon gerne: Sieht aus wie ein abgelutschter Hundekuchen und fährt so ne große Kalesche. Aber auch das behältst du besser für dich, du Schmalspur-Rambo, wenn dir dein lausiges Leben lieb ist.
Kommen wir nun zur Hauptattraktion des Abends – zu mir! Der Frauenschwarm, wo ich bin, sieht unheimlich gut aus und weiß auch um seine Wirkung beim weiblichen Teil des Publikums. Wo zwei, drei junge Damen in Miniröcken beisammensitzen, und ich gehe da lässig vorbei, kann der Kellner aber hinterher erst mal den Aufnehmer drunterlegen, sag ich euch.
Häh? Was sagst du da? Ich und ordinär? Paß mal auf, Bursche, sonst war das dein letztes Lebenszeichen vor der Eintütung in die Urne. Ich hab nämlich schon ganz andere Kaliber als dich umgenietet.
Erst letztens meinte mein Chef, es gäbe Ärger mit den Kroaten. Die haben da so einen Treff im Hinterzimmer ihres Reisebüros, illegales Spielcasino, Poker und so Zeugs, mehr mußt du nicht wissen, glaub mir, ist gesünder, je weniger du weißt, desto besser für dich. Na jedenfalls fragte Chef mich, ob ich für den Job Hilfe bräuchte, es seien wohl ungefähr fünfzehn Mann in der Zockerhöhle. Darauf nur ich so mit einem abschätzigen Lächeln: Was? Fünfzehn Figuren? Die mach ich im Stehen auf der Treppe. Und so war es dann auch.
Noch Fragen, du Flitzpiepe?

Mittwoch, 10. Juni 2009

Besuch, ein Fluch, ein rotes Tuch

Eine Frau hatte sich bei mir angemeldet. Früher hatte ich sie einmal ganz gern gehabt, aber dieses gemeinsame Wochenende gab mir und uns vollends den Rest.
Anstatt bis zu mir durchzufahren, mußte ich sie unbedingt vom Hauptbahnhof abholen. Ich hasse aber diesen verschissenen Hauptbahnhof, der keiner ist, weil er in der Einöde liegt und den gemeinsamen, Glas und Stahl gewordenen feuchten Traum der Herren Schröder, Mehdorn und Albert Speer darstellt. Tempelhof ist ein Dreck dagegen, und selbst der ekelerregende Potsdamer Platz war nur die Vorstufe zu dieser totalen Scheußlichkeit. Ein Stahlträger fällt auf Knut. Leider. Nicht. Germania 2000, wir kommen, heim ins Reich. Reich ins Heim wäre mir lieber, aber auf die Pflegestufe kann ich noch lange warten.
Abends schleifte sie mich auf ein Konzert. Ich hasse Konzerte. Überhaupt, Musik. Ich hatte ihr hundertmal gesagt, daß ich gerne nichts höre, Stille. Hier aber nun: die Abwesenheit von allem Schönen. Verrockte Kunststudenten, ungewaschen, überohrfrisiert und ohne Groove, sowohl vor als auch auf der Bühne. Nicht zu unterscheiden, wer sein Geld dafür ausgibt und welcher es sich einsackt. Die totale Gleichförmigkeit innerhalb der angestrebten, angestrengten Individuation. Hitlerjugend, here I come!
Dann wollte sie kochen. Bei mir! Bei mir wird aber nicht gekocht. Meine Küche ist ein Ausstellungsstück, für ein nicht mehr fertig gewordenes Projekt von Martin Kippenberger. Töpfe und Pfannen, zentimeterdick wie mit vorweihnachtlichem Puderzucker von mütterlich sanftem Hausstaub überzogen, stehen nur zum reinen Spaß in den Schränken. Sie versaute mir die ganze Bude, die Laune sowieso. Den Gestank des angerührten, nicht genossenen Fraßes werde ich wohl noch auf Wochen ertragen müssen, trotz Dauerlüftens in die Berliner Sommerluft hinein.
Nachts lag sie neben mir im Bett, schwitzte sehr stark und röchelte mir unordentlich die Ohren voll. Nicht mal für ein ausgewachsenes Schnarchen reichte es bei dieser lauwarmen Person. Ich fühlte mich wie eine Mailänder Salami, die in einen kalten, zugigen Hausflur geworfen wurde.
Als sie endlich wieder verschwand, war ich erleichtert und trat ihr zum Dank für die Abreise auf der Feuertreppe von hinten mit Schmackes ins Kreuz. Auf die Idee, ihr auch noch das Paket mit ihrem vermaledeiten Rotbuschtee an den Kopf zu pfeffern, kam ich leider erst, als sie bereits wieder tief im Westen versunken war.

Mittwoch, 3. Juni 2009

Eichelheimer, verliebt in eine Bombe, redet sich um Kopf und Kragen

In der Kneipe an der Ecke sprach mich unaufgefordert so ein besoffenes Arschloch von der Seite an.
Ohne, daß es mich sonderlich interessiert hätte, stellte er sich als Hans Martin Eichelheimer vor. Um gleich darauf ungefragt seine politischen Überzeugungen vor mir auszubreiten.
Deutschland, so hob er an, braucht unbedingt die Atombombe. Das ist einfach Fakt! Ich meine, Peter Scholl-Latour sagt das auch. Und der hat bekanntermaßen immer recht. Außerdem würde ich mich dann wieder viel sicherer fühlen, wenn ich in Zukunft bei Rot über die Ampel gehe oder abends betrunken mit meinem Auto nach Hause fahre. Wir sind hier schließlich nicht bei der Wohlfahrt.
Dann stierte er für einen Moment trübe in sein Bierglas, bevor ihm doch noch was Schlaues einzufallen schien. Sein Geistesblitz lautete wie folgt: Und irgendwie müssen wir uns doch schließlich vor diesen ganzen Kaffern weltweit schützen. Dieser Achmadingsda im Iran, der tanzt uns doch schon jetzt auf dem Kopf rum, wie es ihm paßt. Oder der Bekloppte aus Korea. Solchen Brüdern kommt man nur mit Härte bei. Man muß die schocken, nicht tätscheln. Die Welt zu Gast bei Freunden? Daß ich nicht lache!
Nachdem er hinter vorgehaltener Hand kurz aufgestoßen hatte, zauberte Eichelheimer mit einer umständlichen Geste eine Art Formular aus der Innentasche seiner speckigen Jacke.
Er erklärte mir: Ich habe da auch schon was vorbereitet. Das ist so eine Art Petition für den Bundestag. Ich sammle Unterschriften, damit die feinen Herren Volkstreter, hähä, das sag ich immer, statt Volksvertreter, verstehste? Damit die mal umdenken. Denn wir brauchen die Bombe doch.
Also, und mit diesen Worten kramte er auch noch einen Kugelschreiber hervor, am Besten einfach hier mal schnell unterschrieben und unser gemeinsames Anliegen unterstützt. Ihre Kinder und Kindeskinder werden es Ihnen später danken.
Entschuldigung, sagte ich da zu Eichelheimer, das klingt interessant, aber ich muß mal kurz aufs Klo. Bin gleich wieder da.
Das Toilettenfenster war ziemlich eng, aber irgendwie ging es dann doch. Schnell durchgezwängt und ab über den Hinterhof. Das nächste Mal trinke ich wieder daheim.