Samstag, 26. Mai 2007

Vier Frauen

Zuerst war da Anni. Blond, süß, aber total anstrengend. Ich fragte mich, ob sie wohl jemals aufhören würde zu reden. An einem lauen Sommerabend saßen wir in einem überfüllten Café. Die studentische Hilfskraft, die hier vor sich hinkellnerte, war eindeutig mit der Situation überfordert, und ich war es auch. Daß sie mir auf die Nerven ging, merkte Anni wohl gar nicht. Sie redete und redete, davon, daß Brad Pitt doch wohl ein echter Traummann sei und sie eifersüchtig auf Angelina Jolie, daß Rot ihr gut stehe, darum auch der Nagellack, daß sie fünf Katzen habe und überhaupt sehr verschmust sei. Ihr Zukünftiger müsse nicht nur sie, sondern auch ihre kleinen Tigerchen lieb haben. Ich bestellte einen Espresso nach dem andern und lag später, vom Koffein, lange wach. Allein.
Danach kam Barbara. Hätte sie behauptet, sie wäre Moderatorin auf MTV, ich hätte es ihr sofort geglaubt. Rote Haare, tolle Figur, kristallklare Augen. Unübersehbar hübsch, und das mitten im Oktober in einer Pizzeria. Du mußt dich natürlich anders anziehen, sagte sie zu mir und deutete dabei auf meine Jeans und mein dunkles T-Shirt. Und dein Rasierwasser riecht zu stark, das muß auch weg, forderte sie weiter. Die Lasagne stand noch nicht auf dem Tisch, da machte sie mir schon deutlich, daß Fußball gucken gar nicht in Frage käme. Und, stellte sie mindestens ebenso unmißverständlich klar, während sie in ihrem Salat stocherte, ich bräuchte dringend eine andere Frisur. Ich stellte mir vor, wie sie wohl nackt aussieht und hörte einfach nicht mehr zu.
Fiona wiederum hatte auf dem Weg zu unserer Verabredung ihren Seidenschal verloren und fluchte wie ein Rohrspatz vor sich hin. Es war Februar, der Schnee lag ungewöhnlich hoch. Noch bevor wir bestellten, sagte sie schon, daß sie dieses Leben satt habe. Ihre erste Frage war: Kannst du dir eigentlich einen Porsche leisten? Nun, ich konnte es nicht. Da stand sie gleich wieder auf. Das muß dann wohl ein Versehen sein, meinte sie. Die Partneragentur hat da wohl etwas durcheinandergebracht. Mit diesen Worten drehte sie sich auf dem Absatz um und lief mitten hinein in das vollbeladene Tablett des Kellners. Rotwein- und Kaffeeflecken auf ihrem Mantel, in ihre Locken hatte sich eine einsame Nudel verirrt. Mach doch was, schrie Fiona mich an. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich zog meine Jacke über, zahlte und ging.
Zuletzt Hana. Mit der war es eigentlich ganz schön. Juni oder Juli. Wir saßen im Englischen Garten, es war die Stunde der Abenddämmerung, der Mond spiegelte sich schon im Kleinhesseloher See, Glühwürmchen und Mücken wuselten um uns in der Luft herum. Als plötzlich eine große schwarze Dogge näher kam, kuschelte sich Hana auf einmal an mich. Ein Spaziergänger pfiff das Tier zurück, doch Hana blieb auch danach noch in meinen Armen. Ich strich ihr durch die seidigen braunen Haare, über die Wange, dann ein erster zaghafter Kuß auf ihren großen schönen warmen Schmollmund. Sie sagte, sie hätte es gleich gewußt, daß ich der Richtige sei. Der Vater ihrer Kinder. Weitere romantische Treffen folgten, ein Picknick, ein gemeinsamer Theaterbesuch, Händchenhalten im Freilichtkino, Wandern in den Bergen. Zwei Wochen vergingen auf diese Weise, unsere Küsse wurden intensiver, dann meldete sich Hana nicht mehr. Warum, habe ich nie erfahren.

Samstag, 19. Mai 2007

Buttermilch mit Paul Watzlawick

Ich traf Paul Watzlawick zum letzten Mal wenige Wochen vor seinem Tod. Er sah, ausgezehrt von seiner langen Krankheit, schlecht aus, aber gut, Krebs kommt in den besten Familien vor.
Wie wir so nebeneinander in den Korbstühlen auf seiner Veranda saßen und dem Sonnenuntergang entgegenblinzelten, erzählte er mir mal wieder seinen Lieblingswitz, den von dem Mann, der alle zehn Sekunden in die Hände klatscht, und wenn man ihn fragt, warum er das tut, antwortet: Um die Elefanten zu verscheuchen. Aber welche Elefanten denn bitte? Darauf der Irre: Na also! Sehen Sie!
Das war natürlich kein Brüller im klassischen Sinne, aber für ein Schmunzeln meinerseits reichte es jedesmal wieder aufs Neue. Paul und ich, wir verstanden uns einfach, was unsere Didaktik anging.
Diesmal war ich mit einem zwischenmenschlichen Problem zu ihm gekommen, ich schilderte ihm meine unglückliche Liebe zu dem jungen blitzgescheiten Mädchen, das alle seine Bücher gelesen hatte.
Schade, daß ich nie solche Mädchen kennenlerne, meinte Paul, lächelte dabei in sich hinein und nippte an seiner Buttermilch.
Was soll ich denn nun mit ihr machen? fragte ich ihn und riß ihn damit augenblicklich wieder zurück ins Hier und Jetzt.
Vielleicht willst du ja gar nicht, daß sie dich liebt, gab er mir zu denken, sondern bist zufrieden mit den ständigen Demütigungen und Abweisungen. Erinner dich nur mal an Martha und George bei Edward Albee.
Nun, Paul, sagte ich, nachdem ich allen Ernstes ein Weilchen darüber nachgedacht hatte, das kann ich diesmal, glaube ich, ausschließen.
Mein lieber Freund, setzte Paul von neuem an, du mußt zusehen, daß du einen Verständigungsprozeß zu ihr herstellst. Das ist der Rat, den ich dir geben kann. Und vergiß nicht: Nimm es leicht, das Leben ist schon hart genug. Laß dich von Rückschlägen nicht aus der Bahn werfen. Es wäre nicht das erste Mal, daß das sanfte Wasser eines Flusses einen massiven und unbezwingbar wirkenden Berg aushöhlt. Laß dir und ihr Zeit. Solange ihr zwei am Leben seid, besteht Hoffnung. Und vor allem: Bleib bei dir selbst, denn dann kannst du sie gar nicht enttäuschen, du Teufelskerl.
Er verpaßte mir einen Knuff in die Seite. Ich lächelte.
Zum Abendessen wollte ich schon nicht mehr bleiben. Wir gaben uns die Hand, und ich ging die Auffahrt hinunter.

Samstag, 12. Mai 2007

Herr Köhler und Herr Klar

Ein wenig mulmig war Horst Köhler schon zumute, als er die Zelle von Christian Klar in Bruchsal betrat.
Gemütlich haben Sie es hier, Herr Klar, sagte Herr Köhler beim Anblick der vor ihm liegenden spartanischen zwölf Quadratmeter, was aber mehr der Höflichkeit als der Wahrheit geschuldet war.
No jo, sagte der ehemalige Terrorist, man gewöhnt sich an alles, selbst an die faschistischen Haftbedingungen im Schweinesystem. Und dann, gleich viel freundlicher: Mögen Sie ein Stück Kuchen, Herr Bundespräsident?
Ach ja, bitte gern. Vielen Dank, Herr Klar.
Der Inhaftierte war, wie er da dem Präsidenten ein besonders saftiges Stück Erdbeerkuchen auf den Teller bugsierte und ihm eine Tasse bolivianischen Hochlandkaffee einschenkte, wirklich ein aufmerksamer Gastgeber. Aber Kunststück, hatte er sich doch, einem von der Sehnsucht gepeinigten, unglücklich Liebenden nicht unähnlich, jahrelang gewissenhaft auf diesen einen Nachmittag vorbereitet.
Um die nun eintretende, leicht peinliche Stille auszufüllen, fragte Herr Köhler zwischen zwei Bissen Erdbeerkuchen: Haben Sie eigentlich auch diesen furchtbaren, vor Verachtung triefenden Scheißartikel von Franz Josef Wagner über unser Meeting hier gelesen, Herr Klar?
Ja, aber natürlich, Herr Bundespräsident, die BILD gehört schließlich zu meiner Leib- und Magenlektüre. Man muß doch seinen Feind kennen, also: die Schweine von der Springerpresse.
Ich fand das einfach nur widerlich, sagte Herr Köhler. Was dieser Wagner sich überhaupt herausnimmt...
Ich könnte ihm ja mal, nach meiner Freilassung, versteht sich, mit dem Motorrad hinterherfahren, wenn Sie mögen, schlug Herr Klar freudig erregt vor.
Das ist wirklich ein nettes Angebot, fand Herr Köhler, der einen Moment ernsthaft darüber nachzudenken schien, aber lassen Sie mal.
Er aß in Ruhe seinen Kuchen auf und rieb sich anschließend die Hände.
Also meinetwegen würde ich Sie jederzeit begnadigen, Herr Klar, sagte Herr Köhler dann und zog bei diesen Worten bereits das vorbereitete Schriftstück aus der mitgebrachten Aktentasche. Ich muß nur noch eben schnell unterschreiben...
Halt, halt, Herr Präsident, nicht so schnell, insistierte Klar.
Herr Köhler sah ihn verwundert an.
Ich habe, Herr Präsident, in den letzten Wochen viel ferngesehen, erklärte sich Herr Klar. Alice Schwarzer, der kleine Eisbär Knut, Deutschland sucht den Superstar und Heidi Klum ein neues Mannequin... also ich muß sagen, dieses Land macht mir Angst. Das ist nicht mehr meine Bundesrepublik. Da bleibe ich doch lieber noch ein wenig hier in meiner kuscheligen Zelle. Meine vier Wände beschützen mich ja auch schließlich so ein bißchen vor all dem da draußen. Und außerdem habe ich unheimlichen Schiß davor, bei Peymann ein Praktikum ablegen zu müssen. Ich finde den nämlich, Hand aufs Herz, total doof.
Das kann ich gut verstehen, sagte Herr Köhler und nickte dabei, der Würde seines Amtes entsprechend, andächtig. Und weiter: Geht klar, Klar.
Mit diesen Worten zerriß er den Vordruck der Gnadenentscheidung und warf die Fetzen wie Konfetti am Rosenmontag hoch in die Zellenluft.
Dann verabschiedete man sich voneinander.
Köhler flog zurück nach Berlin, und Klar las noch ein bißchen in Erich Fromms Haben oder Sein.

Samstag, 5. Mai 2007

Dörtes vaginaler Technoinzest

In der Zeitung las sie zum Frühstück, daß noch nie ein Mann die Weltmeisterschaft im Topflappenhäkeln gewonnen hat. Danach hatte Dörte Densing sofort wieder gute Laune. Die meisten Typen konnte man doch sowieso in der Pfeife rauchen.
Bevor sie ins Büro ging, genehmigte sie sich noch einen Lapacho-Tee, aus der inneren Rinde der Pao-Darco-Bäume, mit hohem Anteil wichtiger Mineralstoffe und Spurenelemente. Und schmecken tat er auch noch. Um es auf den Punkt zu bringen: die Dörte war mal wieder echt supidupi drauf.
Überhaupt war sie, obwohl zugezogen, mittlerweile eine waschechte Berlinerin, wie sie im Buche steht. Wo sie hinlächelt, grünt der Grunewald.
Trotzdem ließ sie sich, bei aller Beschwingtheit, kein X für ein U vormachen. Denn, wenn sie auch sonst nicht viel wußte im Leben, so wußte sie doch zumindest eins: Mit den meisten Versprechungen ist es ein bißchen so wie mit der Musikgruppe Vaginal Techno Incest. Als Verheißung klingt das zunächst mal irre toll und spannend, aber nachher ist man dann doch enttäuscht, wenn man erst mal reinhört und merkt, daß das eine ziemlich schnarchige Akustik ist. Und nicht anders war es doch auch mit den ganzen Märchenprinzen. Am Ende des Tages gibt der Mann der vermeintlichen Träume meist doch nichts her.
Auf ihrem Anrufbeantworter, der ja bei genauer Betrachtung bloß ein Entgegennehmer ist, fand sie abends nach der Arbeit eine Nachricht vom Berliner Zoo.
Liebe Besucher, hieß es dort, denken Sie dran, es gibt so viele schöne Tiere bei uns. Schauen Sie sich die doch auch mal an. Den kleinen Malaienbär Ernst zum Beispiel. Gerade vier Monate ist er alt. Es muß nicht immer Knut sein.
Die unbekannte Stimme hatte so verdammt noch mal recht, daß Dörte plötzlich ganz blümerant zumute ward. Sie brach in Freudentränen aus. Aber vom Feinsten.