Freitag, 20. Juni 2008

Irre Irre Irre

Mein Freund Rainald Goetz war heute mal wieder unglaublich gut drauf. Angriffslustig wie in den alten Tagen, wo er sich in Klagenfurt oder wo auch immer das gewesen ist, mit einer Rasierklinge die Stirn aufgeschnitten hatte, nur um mal ein wenig Pepp in die ganzen satten abgehangenen Schweinehälften vor der Bühne zu bringen.
Er redete sich, während wir ziellos durch die nächtlichen Straßen des Wedding marodierten, in Rage, sein eigentliches Element. Diese ganze gegenseitige Eierschaukelei ist doch bloß noch zum Kotzen, setzte er an. Dieser wahnsinnige Sozialterrorismus mit Lob, das ist alles destruktiv, das gehört alles weggehauen. Denn Lob ist schlecht. Der installiert ein Gefälle, eine Nähe, eine Anmaßung. Etwas sei zu loben, weil es geglückt ist: ein Aussehen, eine Geste, ein Kontakt, erst recht natürlich jedes extra hergestellte Ding, ein Essen, ein Buch, eine Musik. Heilige Einfalt!
Mir geht es manchmal in Internetforen so, gab ich zu denken. Und das war nicht nur so dahergesagt, sondern auch wirklich meine Meinung. Ich fand es schon immer schwer daneben, wenn sich unbekannte Menschen auf einmal miteinander solidarisierten, nur weil sie die gleichen bescheuerten politischen Überzeugungen vertraten oder dieselben langweiligen Rolling-Stones-LPs für meisterhaft erachteten.
Rainald nickte und nahm im Gehen noch einen Schluck aus der Küstennebel-Flasche. Dann weiter: Gelobt zu werden ist furchtbar, die ganze Kaputtheit des Lobens wütet einen dann an. Wenn man sich gedankenlos ranschmeißt an das Gelobte anstatt die Freude des Geglückten einfach aufzunehmen und das Maul zu halten. Wer fragt denn noch, WARUM genau die geglückte Sache einem so geglückt vorkommt? Lob erniedrigt beide, den Gelobten wie auch den Lobenden. Analyse und Argument aber, die erhöhen den geistigen Zustand, in dem alles sich befindet. Zustimmung schwächt, Kritik stachelt an. Bringt Energie in die Welt! Voll in die Fresse! Dieses ganze stricherhaft Abgefuckte des Lobens, die Lobnutten, Lobtrottel, Trottelkartelle, die alles niederstampfen. Eine ganze Welt voller Kaputtheit und Verblödung, voller Scheußlichkeiten und Zuschleimungen. Heidenreich, Doebeling, Stalingrad.
Kritiker sind Parasiten, pflichtete ich bei und ließ mir auch mal den Küstennebel schmecken.
Rainald daraufhin: Es gibt keine schönere Art von Zustimmung zur eigenen Bemühung und den Resultaten, als die Ablehnung durch die, die man selber für totale Deppen hält. Die auch gerade deshalb so blöd sind, weil sie so viel Angst haben, selber abgelehnt zu werden. Die mit vorauseilender Zustimmung anderen gegenüber auftreten, nur um dadurch selber Zustimmung zu sich selbst zu erdealen, zu erzwingen. Alles sehr falsch.
Wir zwei waren uns einig darin, daß es unglaublich die Laune hebt, wenn man so bei sich merkt, daß man mit all dem Zirkus nichts zu tun hat, weil man selber anders ist und anderes beabsichtigt. Hymnen kotzen, schöne Texte machen, Leben lernen, Liebeszauber, halleluja.
Wichtig ist, resümierte da Goetz und funkelte mich mit einem geilen Blick an, daß man sein Ding gnadenlos durchzieht. So wie Wolle Petry.
Wenn ich nur wüßte, was mein Ding ist, meinte ich da nachdenklich, um auch mal wieder was zu sagen. Denn der mickrige Wurm in meiner Unterhose war ja wohl kaum der Rede wert. There must be more than this, irgendwo da draußen.
Nachher in dieser Nacht überfielen wir noch einen jugendlichen Araber und zogen ihm zwanzig Euro, sein Klappmesser und den MP3-Player ab. Wir fühlten uns wie die Könige der Dunkelheit.

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