Samstag, 7. Juni 2008

Alte Liebe räuspert sich

Wir trafen uns an einem Mittwoch. Dem Tag, an dem alles passieren kann.
Ich holte sie vom Bahnsteig ab. Sah sie schon von weitem, erkannte sie aufgrund der Bilddatei, die sie mir als E-Mail-Anhang geschickt hatte.
Als ich vor ihr stand, wollte ich sie gleich umarmen. Sie streckte mir allerdings nur ihre zierliche Hand entgegen.
Klar, okay, das konnte ich verstehen. Manche Menschen mögen halt keine Gefühlsausbrüche unter Fremden. Und fremd, das waren wir, denn im Prinzip kannten wir uns ja noch gar nicht.
Wir hatten uns zwei Monate zuvor im Internet kennengelernt, ein paar Mal telefoniert, mehr nicht.
Dies hier war unser erstes Treffen in der wirklichen Welt. Genauer gesagt: am Kölner Hauptbahnhof.
Der Himmel über der Stadt, typisch für den rheinischen Sommer, erinnerte an feuchtes braunes Kammgarn. Köln zeigte sich von seiner schönsten Seite, wie eine bodenständige Witwe in Grau.
Ich lasse mich nicht gerne fotografieren, erklärte sie und drehte sich weg, als ich die Kamera auf sie richtete.
Das hielt mich allerdings nicht davon ab, heimlich Aufnahmen von ihr zu machen. Immer, wenn sie nicht hinsah. Sie vor dem Dom. Sie am Rhein. Sie in der Altstadt. Lauter so Zeugs. Damit füllte ich bis zum Abend einen ganzen Film.
Später im Café sagte sie etwas und sah mich dabei an, doch sie meinte gar nicht mich. Sie meinte ihren Mann, der nicht da war, der sie nicht hören konnte, der jetzt bei einer anderen lag und nicht mehr zu ihr zurückkommen würde.
Ihr verwundetes Herz war für mich so unerreichbar wie für einen Demonstranten das Kurhotel auf der anderen Seite der Bannmeile von Scheinheiligendamm.
Als ich sie abends wieder zu ihrem Zug brachte, war ich es, der ihr bloß die Hand entgegenstreckte.
Ich kann mich auch täuschen, aber in diesem Moment schien sie mir ein bißchen überrascht und ja, irgendwie auch traurig zu sein. Vielleicht wäre sie jetzt bereit gewesen, mich zu umarmen. Es ging aber einfach nicht mehr.
Heute nacht kann ich nicht schlafen und muß an sie denken. An sie vor dem Dom. Sie am Rhein. Sie in der Altstadt. In diesem längst vergangenen Sommer, der keiner war.Der verschossene Film liegt noch immer auf meinem Schreibtisch. Ich hoffe, ich habe irgendwann mal genug Geld, um diese Bilder entwickeln zu lassen.

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