Sonntag, 17. Februar 2008

Hunger

Berlin strahlt, glänzt und funkelt. Bei der Berlinale auf dem Roten Teppich tummeln sich überlebensgroße Figuren, Titanen und Halbgötter, die von ihren Bewunderern angehimmelt werden wie die Sterne selbst. Diese stehen im Licht.
Im Dunkeln hingegen bleiben jene, die nicht das große Glück haben, nach ihren Promoauftritten gleich wieder wegzukönnen. Die, die das Pech haben, hier bleiben und von der Politik des Berliner Senats abhängig sein zu müssen.
Finanzsenator Thilo Sarrazin, der in der Vergangenheit schon dafür verantwortlich zeichnete, Kindertagesstätten zu schließen und öffentliche Einrichtungen wie Schulen und Universitäten kaputtzusparen, hat nun allen Bedürftigen der Stadt vorgerechnet, daß sie doch eigentlich gar keinen Grund hätten, sich zu beklagen. Die vorhandenen Regelsätze für Hartz-IV-Empfänger seien schließlich durchaus ausreichend: drei Scheiben Brot am Tag, ein Klecks Butter und Marmelade, zwei Scheiben Käse, ein Apfel, zwei Tassen Kaffee, 200 Gramm Kartoffelsalat, ein Joghurt und eine halbe Gurke. Na also, geht doch, denkt sich Sarrazin, der selbst 10.000 Euro Monatsgehalt bezieht.
Berechnet man dieses Sparmenü großzügig nach dem klassischen Kalorienkompaß landet man am Ende irgendwo bei durchschnittlich 1550 kcal täglich. Mit dieser Kalorienmenge werden jedoch selbst die untätigsten Arbeitslosen spätestens nach vier Wochen an Unterernährung leiden.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung gibt als Referenzwert für die notwendige Energiezufuhr für Männer zwischen 25 und 50 Jahren bei ausschließlich sitzender Tätigkeit schon 2400 kcal an; läuft der betreffende Mensch dann allerdings noch in der Gegend herum, beispielsweise zur Jobagentur, so benötigt er leicht über 3000 kcal.
Was Herr Sarrazin ebenfalls verschweigt: Familien erhalten für ihre Kinder sogar nur einen geringeren Tagessatz von 2,80 Euro. Das Deutsche Forschungsinstitut für Kinderernährung hingegen hat vorgerechnet, daß für einen Jugendlichen 4,70 Euro täglich das absolute Minimum sind, um für ihn etwas Gescheites zum Essen zu bekommen.
Der Berliner Finanzsenator sollte vielleicht einmal selbst einen Monat lang versuchen, einem Kind für unter drei Euro am Tag eine ausgewogene Ernährung auf den Eßtisch zu zaubern.
Sicherlich, ein Leben in Armut läßt sich schon irgendwie zähneknirschend durchplanen und halbwegs gescheit organisieren. Was aber tun, wenn die großen Unglücksfälle des Alltags eintreten, die jemanden wie den Herrn Sarrazin bloß ein müdes Lächeln kosten, wenn etwa eine Brille kaputt geht, die Kinder neue Schuhe brauchen oder überraschend die Waschmaschine den Geist aufgibt? All diese Anschaffungen sind in den Bemessungssätzen nur mit wenigen Prozent berücksichtigt.
Sarrazin, der Transporteur der sozialen Kälte, hat mit seinem verquer durchgerechneten Speiseplan im Grunde nur eins erreicht: In der sowieso schon gebeutelten Hauptstadt des Prekariats verstärkt er damit das allgemein um sich greifende Verlierergefühl nur noch mehr und macht das real existierende Wohlstandsgefälle zwischen denen da oben und uns hier unten im Armutskiez bloß noch schmerzhaft spürbarer.
Was von Sarrazins Rechenkünsten bei den angesprochenen Arbeitslosen und Bedürftigen ankommt: Ihr seid arm? Selbst schuld. Ihr müßt doch nur mal vernünftig rechnen, dann kommt Ihr schon hin.
Sarrazins Chef, der Herr Wowereit, hat mal davon gesprochen, Berlin sei arm, aber sexy. Das ist so nicht richtig. Im Hinblick auf die im Licht und jene im Schatten, diese auf dem Roten Teppich und jene in den Elendsquartieren, müßte es eigentlich heißen: Die einen sind sexy, die anderen bleiben arm.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich finde es erschreckend, wie die Schere zwischen arm und reich immer mehr auseinanderdriftet.
Es gibt zu viele, die stolz auf sowas wie "Eliten" sind, zu viele Manager, die von Vorbildern reden, aber selbst keine sind und zu viele Menschen, die wie in Indien in eine Kaste hineingeboren werden, in der sie gefälligst zu bleiben haben (es sei denn, man will nach unten; *der* Weg ist immer frei).
Irgendwie schaffen es die Menschen in jeder Epoche immer wieder, sich aus Gier, Neid und Egozentrik gegenseitig das Leben schwer zu machen.

Anonym hat gesagt…

Lieber Mathies, bitte halte deine Fresse, danke.