Samstag, 21. Juli 2007

Rap und ich sind Freunde (nach wie vor)

Es sind schon fürwahr komische Zeiten, in denen unsereiner die Tage seines Lebens verbringen muß.
Rechthaberische „Tagesspiegel“-Feuilletonisten beenden ihre Artikel über den reunierten Freundeskreis mit einem verbalen Säbelhieb: „Der deutsche Hiphop ist in einem jämmerlichen Zustand.“
Das vor den Latz geknallt zu bekommen tut denen, die Rap und seine Kultur wirklich lieben (und dazu zähle ich mich), wohl in etwa so weh wie den Hinterbliebenen eines Verstorbenen, die in einem gehässigen Nachruf in der Zeitung über den Betrauerten das unverschämte Fazit lesen müssen: „Er war kein guter Mensch.“
Überhaupt fällt auf, daß die Berichterstattung über Altvordere wie die Fantastischen Vier oder Dendemann nur noch selten ohne die gleichzeitige Totalabgrenzung von der aggressiven jungen Berliner Szene auskommt.
Anstatt sich auf die Stuttgarter Kolchose selbst zu konzentrieren, nehmen gefrustete Existenzen das Wiederauftauchen und die Comebacks der verdienten 90er-Jahre-Recken immer wieder zum Anlaß, auf alles und jeden zu schießen, der vor der Ergreifung des Mikrofons nicht mindestens fünf Semester Philosophie studiert hat.
Sie trauern dem idealisierten Bild ihres ungelenken Helmut-Kohl-Ära-Reihenhaussiedlungs-Spaßrap hinterher – und somit in Wahrheit eigentlich nicht der Musik selbst, sondern nur ihrer Jugend.
Das Problem, welches Menschen wie ich haben, die mit dieser Kultur groß geworden und noch immer nicht bereit sind, sie einfach so beim spätestens dritten Hahnenschrei zu verleugnen, ist, daß der arme, oft gescholtene HipHop sich nicht mal wehren kann. Jeder darf alles über ihn behaupten.
Ich aber sage Euch, Rap in Deutschland ist still okay, ja, mehr sogar noch: er war nie lebendiger, vielschichtiger und wertvoller als heute.
Der deutsche Rap von heute besitzt alles, was man sich von Subkultur und Pop überhaupt nur wünschen kann: den Drang nach Rebellion und Veränderung, Angriffslust, soziale Wachheit, Spaß und Humor, Härte und Intelligenz. Die Mittelschichts-Monokultur der 90er ist einer wundervollen, facettenreichen Vielfalt gewichen.
Wer den vermeintlich guten alten Zeiten hinterhertrauert, ist nur zu faul, nach den für ihn noch immer relevanten Aspekten (die es weiterhin gibt) zu suchen. Früher lief A-N-N-A bei MTV, heute Frauenarzt, und das ärgert den landläufigen Meinungsgnom, der es nicht ertragen kann, wie bildungsferne Schichten eben die Musik zurückerobern, welche eigentlich von Anfang an genau für sie gedacht war.
Pseudointellektuelle bolzen gegen den Berliner Atzen-Rap, rudern aber gleichzeitig in ihren von schäbigsten Vorurteilen verblendeten Artikeln gleich auch immer wieder verbal ein Stück weit zurück, faseln dann was vom kalten sozialen Klima, welches ja solche verwahrlosten Zustände und sexistischen, gewaltbereiten und homophoben Menschen erst geschaffen habe – nur um ja nicht von abschätzig betrachteten Gestalten wie Massiv, MC Bogy oder MOK bei nächster Gelegenheit was aufs Maul zu kriegen.
Genau die aber wird das differenzierende „Einerseits / Andererseits“ wohl wenig interessieren, die lesen nur die Beleidigungen gegen sich heraus und pfeifen auf den restlichen soziologischen Überbau – wie ja auch die Hells Angels Mitte der 60er Jahre mit blanker Verwunderung auf das reagierten, was Hipster wie Ken Kesey oder Allen Ginsberg in ihre pöbelnde, bierselige No-Future-Bewegung auf Biegen und Brechen hineininterpretieren wollten.
Gerade der mediale und bildungspolitische Zirkus, der noch immer um Arschficksong und Verrohung der Jugend, schwulenfeindliche Texte und Gewaltpropagierung gemacht wird, beweist doch, daß HipHop noch lange nicht tot ist, sondern weiterhin enorme Sprengkraft besitzt – und somit zu Recht die legitime Nachfolge seiner inzwischen mehr als harmlos gewordenen großen Brüder Rock’n’Roll und Punk angetreten hat.
Der Rap von der Straße zeigt dem erschreckten Bürgertum die häßliche (sub-)proletarische Fratze einer Gegenwelt, welche dieses gerne aus seiner Wahrnehmung verbannen würde. Ghettos in Deutschland? Undenkbar, wenn man in der Zehlendorfer Stadtvilla wohnt. Würde man sich jedoch mal die Mühe machen, zwanzig Minuten mit der U-Bahn statt immer nur mit dem Audi zu fahren, rüber nach Neukölln oder in den Wedding, dann bekäme man schnell eine Vorstellung davon, wieso die jungen Leute sich ausgerechnet so artikulieren, wie sie es in ihrer Musik tun.
Es geht mir gar nicht darum, jeden noch so strunzdoofen Vertreter des Genres um jeden Preis zu verteidigen. Ein Machwerk wie „Keine Toleranz“ von Boss A und G-Hot etwa ist in der Tat unter aller Sau (spiegelt aber gerade dadurch die Meinung eines erschreckend großen Teils der heutigen Jugend leider ziemlich genau wieder). Das sind keine edlen Wilden, sondern bloß dumme Menschen mit häßlicher, inakzeptabler Weltanschauung.
Wichtig ist mir nur eins: die Verhältnismäßigkeit der Reportagen und Artikel – und gerade die ist in den sensationsgeilen deutschen Medien, was Rap anbelangt, schon lange nicht mehr gegeben.
Daß der bisher beste und sachlichste Artikel über die Berliner Untergrund-Szene mitnichten in den Hochburgen des vermeintlich anspruchsvollen Journalismus, sondern ausgerechnet in der nicht eben HipHop-affinen Studentenpostille „SPEX“ erscheinen mußte, spricht dabei ebenso Bände.

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