Sonntag, 20. Juli 2008

Mit Willi am Kamener Kreuz

Früher war alles besser. Da wünschte einem der Müllmann noch ein frohes neues Jahr. Und stellte die Tonne auch wieder da hin, wo er sie hergeholt hatte. Heute ist alles anders, die Dinge sind bei sich, die Menschen aber, drei an der Zahl in einem verbeulten Ascona, am Kamener Kreuz.
Gibs zu, hakte Fred, mit den anderen beiden im Stau stehend, nach, du hast dich in mich verliebt. Los, sag schon, ja oder nein, ich will ne positive Antwort hören.
Seiner weiblichen Mitfahrgelegenheit, auf dem Sitz neben ihm kauernd, wurde diese Nummer langsam echt zu anstrengend. Klar, auch sie wollte Geld sparen, aber noch viel lieber wollte sie von diesem abgebrochenen Pickelface in Ruhe gelassen werden.
Da grunzte es auf einmal überraschend von der Rückbank: Heute bin ich bester Dinge, denn ich habe alle Klausuren bestanden. Ich hatte aber auch gar nichts gelernt, von daher war das abzusehen. Nur eins verstörte mich unterm Radar am Boden – die Dörte will mich nicht, die Doofe, die. Es ist so unfair. Schmeißt sie sich einem solchen Eierkopf wie dem Direx an den fetten Hals. Ich hingegen stehe in der Blüte meiner Bibliothekserscheinung. Mit wem soll ich denn nun sexuellen Kontakt tätigen? Bitternis ist kein Lockstoff. Ich empfehle mich. Und freue mich schon unheimlich auf willige Mecklenburgerinnen, immer straight ahead, auf der Straße ins Glück. Gezeichnet: ein verletzter Willi.
Dann schlief der Typ wieder ein und ließ die Mitfahrgelegenheitstussi und den Fred ebenso erstaunt wie wortlos zurück.
Der irritierte Fahrerfred wandte sich an die Beisitzbiene zu seiner Rechten und fragte, mit einem Gesichtsausdruck der völligen Entblödung bewaffnet: Ähm, wo waren wir stehengeblieben?
Du wolltest mir gerade was über deine Sparsamkeit erzählen, log die Mitfahrtante.
Ach ja, richtig, sagte Fred langsam und runzelte die zusammengewachsenen Augenbrauen, wohl noch nicht so recht überzeugt. Dann aber hob er an: Immer, wenn ich so eine innere Beklemmung in der Brust fühle, die mich drängt, mich doch endlich mal mit Orgelkonzerten, Requien, überhaupt Bach, aber auch sonst so Klassik zu beschäftigen, entgehe ich dem anstehenden Kaufrausch dadurch, daß ich mich in ein tiefes Schluchzen versteife, mich selbst in die Matratze meines Bettes hineinpresse, um ja nicht shoppen gehen zu können, beiße ein Stück aus der Tapete und höre immer und immer wieder, oftmals tagelang, die ersten beiden, einzig wahren Alben der Spice Girls. Geri liebt mich, das muß sie einfach. Und Emma eh. Die Kunst der Fuge ist ein Dreck gegen Viva Forever.
Damit hatte die Mitfahrgelegenheitsmaus nun echt nicht gerechnet. Der Fred war also ein ausgemachter Spice Boy. Sofort stieg er auf ihrer imaginären Sympathieskala um ein bis zwei Punkte. Damit lag er jetzt ungefähr bei minus fünf.
Vielleicht würde die Fahrt zu dritt rauf zur Ostsee ja doch noch lustig werden.

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