Samstag, 12. Mai 2007

Herr Köhler und Herr Klar

Ein wenig mulmig war Horst Köhler schon zumute, als er die Zelle von Christian Klar in Bruchsal betrat.
Gemütlich haben Sie es hier, Herr Klar, sagte Herr Köhler beim Anblick der vor ihm liegenden spartanischen zwölf Quadratmeter, was aber mehr der Höflichkeit als der Wahrheit geschuldet war.
No jo, sagte der ehemalige Terrorist, man gewöhnt sich an alles, selbst an die faschistischen Haftbedingungen im Schweinesystem. Und dann, gleich viel freundlicher: Mögen Sie ein Stück Kuchen, Herr Bundespräsident?
Ach ja, bitte gern. Vielen Dank, Herr Klar.
Der Inhaftierte war, wie er da dem Präsidenten ein besonders saftiges Stück Erdbeerkuchen auf den Teller bugsierte und ihm eine Tasse bolivianischen Hochlandkaffee einschenkte, wirklich ein aufmerksamer Gastgeber. Aber Kunststück, hatte er sich doch, einem von der Sehnsucht gepeinigten, unglücklich Liebenden nicht unähnlich, jahrelang gewissenhaft auf diesen einen Nachmittag vorbereitet.
Um die nun eintretende, leicht peinliche Stille auszufüllen, fragte Herr Köhler zwischen zwei Bissen Erdbeerkuchen: Haben Sie eigentlich auch diesen furchtbaren, vor Verachtung triefenden Scheißartikel von Franz Josef Wagner über unser Meeting hier gelesen, Herr Klar?
Ja, aber natürlich, Herr Bundespräsident, die BILD gehört schließlich zu meiner Leib- und Magenlektüre. Man muß doch seinen Feind kennen, also: die Schweine von der Springerpresse.
Ich fand das einfach nur widerlich, sagte Herr Köhler. Was dieser Wagner sich überhaupt herausnimmt...
Ich könnte ihm ja mal, nach meiner Freilassung, versteht sich, mit dem Motorrad hinterherfahren, wenn Sie mögen, schlug Herr Klar freudig erregt vor.
Das ist wirklich ein nettes Angebot, fand Herr Köhler, der einen Moment ernsthaft darüber nachzudenken schien, aber lassen Sie mal.
Er aß in Ruhe seinen Kuchen auf und rieb sich anschließend die Hände.
Also meinetwegen würde ich Sie jederzeit begnadigen, Herr Klar, sagte Herr Köhler dann und zog bei diesen Worten bereits das vorbereitete Schriftstück aus der mitgebrachten Aktentasche. Ich muß nur noch eben schnell unterschreiben...
Halt, halt, Herr Präsident, nicht so schnell, insistierte Klar.
Herr Köhler sah ihn verwundert an.
Ich habe, Herr Präsident, in den letzten Wochen viel ferngesehen, erklärte sich Herr Klar. Alice Schwarzer, der kleine Eisbär Knut, Deutschland sucht den Superstar und Heidi Klum ein neues Mannequin... also ich muß sagen, dieses Land macht mir Angst. Das ist nicht mehr meine Bundesrepublik. Da bleibe ich doch lieber noch ein wenig hier in meiner kuscheligen Zelle. Meine vier Wände beschützen mich ja auch schließlich so ein bißchen vor all dem da draußen. Und außerdem habe ich unheimlichen Schiß davor, bei Peymann ein Praktikum ablegen zu müssen. Ich finde den nämlich, Hand aufs Herz, total doof.
Das kann ich gut verstehen, sagte Herr Köhler und nickte dabei, der Würde seines Amtes entsprechend, andächtig. Und weiter: Geht klar, Klar.
Mit diesen Worten zerriß er den Vordruck der Gnadenentscheidung und warf die Fetzen wie Konfetti am Rosenmontag hoch in die Zellenluft.
Dann verabschiedete man sich voneinander.
Köhler flog zurück nach Berlin, und Klar las noch ein bißchen in Erich Fromms Haben oder Sein.

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